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    08.05.2024

VfGH hebt Erkenntnis des BVwG zur Berichterstattung bei ServusTV während des Terroranschlags in Wien auf

Live-Berichterstattung am 2. November 2020 verletzte nicht die Menschenwürde und journalistische Sorgfalt

Verfassungsgerichtshof in Wien © RTR/AK

In einer Grundsatzentscheidung zur Berichterstattung in Medien, hat sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit einer Abwägung der Rechte auf Persönlichkeitsschutz und Menschenwürde einerseits und dem Recht auf Meinungsfreiheit andererseits beschäftigt und gelangte zu dem Erkenntnis, dass die Abwägung auch durch den Gegenstand der Berichterstattung bestimmt sei.

Am Abend des 2. November 2020 strahlte die Red Bull Media GmbH in ihrem Fernsehprogramm "Servus TV" die Sendung "Servus Nachrichten Spezial" aus. In dieser berichtete sie spontan und gleichzeitig mit dem Ablauf der Ereignisse über den Terroranschlag, der an diesem Abend in Wien verübt wurde. Sie zeigte dabei auch von Dritten aufgenommene und ihr zur Verfügung gestellte Videos und Fotos von den Ereignissen. Konkret ging es dabei um die bildliche Darstellung eines Schusswechsels des Attentäters mit Polizisten, wobei einer der Polizisten getroffen wurde sowie um die medizinische Versorgung von teils schwerverletzten Passanten. Gezeigt wurde auch die Leiche des Attentäters. Die Ausstrahlung dieser Bilder (Videos und Fotos) erfolgte entgegen dem Aufruf der Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien), keine Bilder oder Videos der Geschehnisse in sozialen Medien zu posten.

Aufgrund dieser Ausstrahlung leitete die KommAustria amtswegig ein Verfahren wegen des Verdachts von Verletzungen des Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz (AMD-G) ein. Im Zuge dessen stellte sie mit Bescheid fest, dass die Beschwerdeführerin durch die im Fernsehprogramm "Servus TV" ausgestrahlte Sendung "Servus Nachrichten Spezial" § 30 Abs. 1 AMD-G verletzt habe, weil Teile der Berichterstattung an diesem Abend die Menschenwürde der Betroffenen nicht geachtet hätten. Weiters habe die Berichterstattung auch gegen § 41 Abs. 5 AMD-G verstoßen, weil sie die gebotene journalistische Sorgfalt im Hinblick auf den Aufruf der LPD Wien, insbesondere keine Videos in sozialen Medien zu posten, nicht eingehalten habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Red Bull Media House GmbH Beschwerde, welche das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis als unbegründet abwies. 
Das BVwG begründete seine Entscheidung zusammengefasst damit, dass § 30 Abs. 1 AMD-G den Schutz der Menschenwürde verfolge, die dann verletzt sei, wenn eine bestimmte Person zum Objekt herabgewürdigt werde. Dieser Schutz umfasse insbesondere auch die Darstellung von Tod, Verletzung und Schmerz. Die Berichterstattung der Beschwerdeführerin habe diesen Schutz in mehreren Konstellationen nicht gewahrt: Erstens durch die Darstellung des angeschossenen, zu Boden gehenden Polizisten, zweitens durch Ausstrahlung von Videomaterial von im Zuge des Terroranschlages verletzten Personen sowie, drittens, durch die Veröffentlichung eines Fotos des toten Attentäters.
Die Beschwerdeführerin habe sich zudem entgegen der journalistischen Sorgfaltspflicht verhalten und dadurch § 41 Abs. 5 AMD-G verletzt, indem sie ihre bildliche Berichterstattung entgegen den Aufrufen der LPD Wien, keine Bilder im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in sozialen Medien zu verbreiten, um die Einsatzkräfte und die Zivilbevölkerung nicht zu gefährden, unverändert fortgesetzt habe. Anstelle der Berichterstattung mit Video- und Fotoaufnahmen wäre auch eine bloß verbale Berichterstattung möglich gewesen.

Hierauf erhob die Red Bull Media House GmbH wiederum Beschwerde und rief den Verfassungsgerichtshof (VfGH) an. Dieser hob daraufhin das Erkenntnis des BVwG auf, da dadurch die Red Bull Media House GmbH in ihrem durch Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) geschützten Recht auf Meinungsfreiheit verletzt wurde.
Der VfGH begründete dies damit, dass die Freiheiten des Art. 10 Abs. 1 EMRK von besonderer Bedeutung für die Massenmedien seien. Obwohl auch gewisse Grenzen nicht überschritten werden dürften, sei es dennoch Aufgabe der (Massen-)Medien, Informationen und Ideen über politische Fragen sowie über andere Fragen von öffentlichem Interesse zu verbreiten. Nicht nur hätten sie die Aufgabe der Verbreitung solcher Informationen und Ideen, zugleich habe die Öffentlichkeit ein Recht, sie zu empfangen.
Hierzu führte der VfGH aus, dass die Öffentlichkeit an einem Ereignis wie jenem des 2. November 2020 ein besonderes Interesse habe, welches eine besondere redaktionelle Verantwortung bei der Gestaltung der Berichterstattung mit sich bringe. Zu dieser Verantwortung gehöre einerseits, dem Persönlichkeitsschutz der Opfer eines Terroranschlages wie auch dem öffentlichen Interesse an der Bewältigung der Situation durch die Einsatzkräfte, um die Sicherheit der Bevölkerung wiederherzustellen, bei der Berichterstattung Rechnung zu tragen. Dazu zähle auch, dass möglichst vermieden werden solle, dass durch die Berichterstattung den Zielen von Terroristen durch Verbreitung von Angst oder Fanatisierung der eigenen Anhänger Vorschub geleistet werde.

Das öffentliche Informationsinteresse an einem Terroranschlag umfasse aber andererseits auch die Aufgabe der Berichterstattung, der Öffentlichkeit die Grausamkeit und Sinnlosigkeit der Gewalt und das Leid, das unschuldigen und unbeteiligten Menschen angetan wird, vor Augen zu führen. Gerade der Bildberichterstattung komme in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, weil Bilder wirkmächtiger als Worte in der Lage seien, das Leid von Menschen zu vermitteln und die Öffentlichkeit für dieses Leid zu sensibilisieren.

Dies stelle Medien, die über solche Ereignisse berichten, vor eine komplexe Aufgabe, und zwar umso mehr, wenn unvorhergesehen und ad-hoc auf ein solches Ereignis reagiert und darüber berichtet werden muss. Dass gerade in solchen Konstellationen der spontanen journalistischen Berichterstattung in audiovisuellen Mediendiensten zum Zwecke der Information der Öffentlichkeit besondere Bedeutung zukomme und Art. 10 EMRK die Freiheit der Berichterstattung gerade auch deswegen schützt, sei zu betonen.
Auf Basis dessen entschied der VfGH zum gegenständlichen Fall zusammengefasst, dass das Zeigen des angeschossenen, zu Boden gehenden Polizisten, der im Zuge des Terroranschlages verletzten Personen sowie des toten Attentäters im Rahmen der Sendung "Servus Nachrichten Spezial" nicht gegen § 30 Abs. 1 AMD-G verstoßen habe, da dies – auch wenn die Betroffenen durch dessen Menschenwürde- und Persönlichkeitsschutz geschützt würden – im Verbund mit dem öffentlichen Interesse an der Berichterstattung in der durch Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützten Gestaltungsfreiheit der Red Bull Media GmbH gelegen habe.

Hinsichtlich der Verletzung der journalistischen Sorgfalt nach § 41 Abs. 5 AMD-G führte der VfGH aus, es habe sich der Aufruf der LPD Wien an soziale Medien gerichtet. Diesbezüglich sei festzuhalten, dass bei der Berichterstattung über Ereignisse wie dem Anschlag vom 02. November 2020, unterschiedliche Anforderungen an journalistische Berichterstattung in Fernsehsendungen und soziale Medien allgemein bestehen. Im Rahmen der journalistischen Berichterstattung sei es Aufgabe und Verantwortung der die Fernsehsendung gestaltenden Personen, das öffentliche Informationsinteresse mit den Sicherheits- und Personenschutzinteressen, die den Aufruf der LPD Wien tragen, abzuwägen. Eine solche Verantwortung könne bei Postings in sozialen Medien gerade nicht erwartet werden. Eine pauschale Betrachtung, wie sie das BVwG vorgenommen hat, dass vorliegend die journalistische Sorgfalt gefordert hätte, Video- und Bildberichterstattung gänzlich zu unterlassen, würde die Berichterstattungsfreiheit der Beschwerdeführerin in einer demokratischen Gesellschaft in nicht notwendiger Weise einschränken.


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